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Aktuelle Herausforderungen für Bürgerenergiegenossenschaften

Bürgerenergiegenossenschaften Umfrage zu neuen Geschäftsmodellen
Q.pictures / pixelio.de

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Um Geschäftsmodelle und Zukunftsplanungen der Bürgerenergiegenossenschaften (BEG) in Baden-Württemberg zu erforschen, wurde im Rahmen dieses hochschulübergreifenden „Innovativen Kooperationsprojektes BürgerEnergieWende“ im Frühjahr 2021 eine Vollerhebung bei allen 149 Bürgerenergie-Genossenschaften in Baden-Württemberg durchgeführt.

Die Förderung des ins öffentliche Stromnetz eingespeisten Stroms erfolgt mittels einer garantierten Einspeisevergütung, die in Abhängigkeit vom Jahr der Inbetriebnahme der Anlage für 20 Jahre Bestand hatte. Alle zu Beginn des Jahres 2000 bereits bestehenden Anlagen wurden als „quasi Neuanlagen“ in die 20-Jahresförderung mit einbezogen. Nunmehr endet mit Beginn des Jahres 2021 für die ersten Anlagen der 20-jährige Förderzeitraum. Damit entfällt auch für die BEG die garantierte Einspeisevergütung, wodurch das Geschäftsmodell vieler BEG ins Wanken gerät.

Um dem entgegenzuwirken, fördert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) Baden-Württemberg das hochschulübergreifende „Innovative Kooperationsprojekt BürgerEnergieWende“, bei dem es um die „Entwicklung von ökologisch und ökonomisch belastbaren Geschäftsmodellen für BEG“ geht. Auf Basis der eingereichten Projektskizzen erhielten das Kompetenzzentrum für innovative Geschäftsmodelle der Hochschule Aalen unter der Leitung von Prof. Dr. Anna Nagl in Kooperation mit dem Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, Prof. Dr. Dr. Bastian Kaiser, in Kooperation mit der OstalbBürgerEnergie eG (OBE) unter Leitung des Gründers und Vorstandsmitglieds Hans-Peter Weber und der erneuerbare Energien Rottenburg eG (eER) unter der Leitung des Vorstands Klaus-J. Lehmann den Zuschlag. Das Projektteam arbeitet auf Basis der Ausschreibung an dem Forschungsprojektziel „Durch die plattformbasierte Bündelung und Vermarktung des in der Region erzeugten EE-Stroms schaffen wir eine nachhaltige Erfolgssicherung für Bürgerenergie-Genossenschaften und private EE-Unternehmer“.

Um Geschäftsmodelle und Zukunftsplanungen der BEG in Baden-Württemberg zu erforschen, wurde im Frühjahr 2021 eine Vollerhebung bei allen 149 Bürgerenergie-Genossenschaften in Baden-Württemberg durchgeführt. Dazu wurden insbesondere Geschäftsmodelle, Leistungsspektren, Zukunftsplanungen und Strukturdaten der Genossenschaften erhoben.

Hohe Beteiligungsquote

Von den 149 Bürgerenergie-Genossenschaften in Baden-Württemberg haben sich 60 Genossenschaften (40 Prozent) an der Umfrage beteiligt. Dies ist eine erfreulich hohe Beteiligung und zeigt das große Interesse an diesem Thema. Wie wichtig es ist, so wie es in diesem Forschungsprojekt umgesetzt wird, die BEG in der inhaltlichen Ausrichtung zu unterstützen, lässt sich daraus ableiten, dass 83 Prozent der befragten Genossenschaften die Einspeisung von Strom nach dem EEG als Basis für ihr aktuelles Geschäftsmodell betrachten. Zwar bietet rund die Hälfte der teilnehmenden BEG ihren Mitgliedern noch weitere Leistungen an, diese sind aber nur in 17 Prozent der Fälle eine wichtige Basis des jeweiligen Geschäftsmodells.

Der Wegfall der Förderung für die Altanlagen und die sich aus der Novelle des Erneuerbare-Energien Gesetzes 2021 ergebenden Folgeregelungen beeinträchtigen das Geschäftsmodell der meisten BEG beachtlich. So erwarten 85 Prozent der Teilnehmer sehr große bis mittlere Herausforderungen für ihre Genossenschaft. Lediglich 15 Prozent sehen darin eher keine bis geringe Auswirkungen. Eine weitere Herausforderung werden in der durch die ehrenamtliche Führung der Genossenschaften zum Teil fehlenden Professionalisierung (78 Prozent) beziehungsweise der zeitlichen (98 Prozent) und fachlichen (87 Prozent) Überforderung der ehrenamtlich Tätigen sowie der enormen Regulatorik (97 Prozent) gesehen.

Zukunftschancen werden unter anderem im Aufbau und Betrieb von Ladesäulen für die E-Mobilität, von Fernwärmenetzen sowie der Beteiligung an Freiflächen-PV-Anlagen und Windkraftanlagen gesehen. Vereinzelt können sich BEG sogar den Einstieg in Mieterstrom- und Contracting-Projekte vorstellen.

Engagement junger Mitglieder forcieren

71 Prozent der teilnehmenden Genossenschaften beklagen Schwierigkeiten bei der Gewinnung junger Menschen für die Mitarbeit in der Genossenschaft. Dies kommt auch im Durchschnittsalter der Mitglieder von 55 Jahren zum Ausdruck. Als probate Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken, werden verstärkte Aktivitäten in Sozialen Medien, Anwerbung junger Menschen durch Mitglieder sowie Informationsveranstaltungen an Bildungseinrichtungen gesehen.

Elemente eines nachhaltigen Geschäftmodells

Hier werden insbesondere der Einstieg in den Stromhandel und die Direktvermarktung gesehen (rund 80 Prozent). Hierbei gilt es nach Meinung von annähernd 60 Prozent der Befragungsteilnehmer Anlagenbetreiber und Stromverbraucher zusammenzuführen sowie die Zusammenarbeit mit Kommunen, anderen BEG, Stadtwerken und regionalen Energieunternehmen auf Basis digitaler Plattformen zu stärken.

Besonders deutlich werden die für notwendig erachteten Veränderungen beziehungsweise Ergänzungen am eigenen Geschäftsmodell. So sehen annähernd zwei Drittel der Genossenschaften beachtlichen Veränderungsbedarf, wobei Fusionen mehrheitlich als nicht zielführend angesehen werden. Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen sympathisieren 60 Prozent mit einer Solardachpflicht auf Wohn- und Firmengebäuden. Eine überragende Bedeutung (100 Prozent) wird dem weiteren Betrieb der Ü-20-Anlagen beigemessen. Die Akzeptanz von neuen, auch digitalen Mehrwertleistungen seitens der Mitglieder wird von den Befragten eher zurückhaltend beurteilt (20 Prozent hoch und 30 Prozent mittel – der Rest ist eher ablehnend). Aber es ist anzumerken, dass auch hier gilt, dass am Ende der „Wurm dem Fisch und nicht dem Angler schmecken muss“.

Mitglieder haben großes Interesse an ihrer Genossenschaft

25 Prozent der Mitglieder nehmen im Durchschnitt an der jährlichen Generalversammlung teil. Darüber hinaus erkundigen sich die Mitglieder auch gerne direkt bei ihrer Genossenschaft. Auch seitens der Genossenschaften werden die Mitglieder offensiv durch E-Mails, Rundbriefe und über Veranstaltungen informiert – dies vor allem bei den viertel-, halb- und jährlichen Informationen.

Die handelnden Personen

Hierbei lässt sich eine untergeordnete Repräsentanz der Frauen ablesen. In etwa 30 Prozent der Vorstandsgremien ist eine Frau vertreten, während in 40 Prozent der Aufsichtsratsgremien mindestens eine Frau vertreten ist – in 25 Prozent der Gremien sind zwei und mehr Frauen präsent. Bedingt durch meist fehlende Altersbegrenzungen sind in den Vorständen beachtlich viele Personen über 65 Jahre vertreten. So ist das Durchschnittsalter der Vorstandsmitglieder in rund 17 Prozent der Genossenschaften über 65 Jahre. In den Aufsichtsräten zeigt sich hingegen eine etwas jüngere Altersstruktur. Der Tätigkeitsumfang der meist ehrenamtlich tätigen Personen ist beachtlich. So sind die Vorstandsmitglieder im Schnitt 23 Stunden, die Aufsichtsratsvorsitzenden fünf Stunden und die Aufsichtsratsmitglieder zwei Stunden pro Monat für ihre Genossenschaft engagiert.

Dominante Geschäftsfelder sind PV- und Windenergie

Die hervorzuhebenden Geschäftsfelder, in denen die Bürgerenergie-Genossenschaften in Baden- Württemberg tätig sind, sind PV- und Windenergie. Die Anlagen haben meist noch eine längere Förderzeit vor sich. Im Jahr 2020 fielen nur wenige Anlagen mit geringer Leistung aus der EEG-Förderung. Ab 2028 steigt dann die Anzahl der vom Auslaufen der EEG-Förderung betroffenen Anlagen stark an und damit auch die Leistung ausgeförderter Anlagen.

Ebenso bleibt festzuhalten, dass die meisten BEG mit den regionalen Energieunternehmen in Verbindung stehen: 80 Prozent in Geschäftsbeziehung und 50 Prozent in Bezug auf Personalgestellung und Organen (Vorstand, Aufsichtsrat). Ebenso pflegen viele BEG gute Beziehungen untereinander. Hier ist festzustellen, dass sich die räumliche Nähe darauf positiv auswirkt: Je näher die Partnergenossenschaft liegt, desto häufiger bestehen die Kontakte.

Fazit

Das bürgerliche Engagement in den Bürgerenergiegenossenschaften ist beachtlich. Allerdings kommen auf die BEG in den kommenden Jahren große Herausforderungen zu:

  • Neue Anlagen bieten aufgrund der abgesenkten Einspeisevergütung eine geringere Rendite.
  • Die Mitglieder sich nach wie vor sehr stark renditeorientiert.
  • Die BEG benötigen dringend ein Geschäftsmodell, das Kräfte bündelt, um das bürgerliche Engagement in Sachen Energiewende positiv zu begleiten.
  • Die regionale Partnerschaft von BEG und regionalen Energieunternehmen/Stadtwerken kann ein Beitrag zu Lösung der Herausforderungen sein.
  • Durch eine Kooperation zwischen BEG und regionalen Energieunternehmen/Stadtwerken sollten sich mit dem Produkt „grüner Regionalstrom“ insbesondere an Nachhaltigkeit interessierte Kundengruppen erschließen lassen.
  • BEG bedürfen dringend einer Professionalisierung, um die anstehenden komplexeren Herausforderungen zu lösen.
  • Durch die Bündelung der Aktivitäten auf digitalen Plattformen kann in Zusammenarbeit mit regionalen Energieunternehmen und Stadtwerken eine Lösung gesucht und gefunden werden.

Bundesweite Befragung mit ernüchterndem Ergebnis

Das Ergebnis der Jahresumfrage des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV) unter den Energiegenossenschaften ist ein alarmierendes Signal für die Energiewende: 34 Prozent der 835 Energiegenossenschaften in Deutschland planen 2021 keine neuen Projekte. Die fehlende Perspektive zeigt sich insbesondere im Hauptbetätigungsfeld Solarstromerzeugung. Im Vorjahr planten noch 54 Prozent Projekte in diesem Bereich, jetzt sind es nur noch 38 Prozent. 2017 waren es sogar noch 72 Prozent.

„Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Schließlich sind es Energiegenossenschaften und andere Bürgerbeteiligungsmodelle, die die Akzeptanz für die Energiewende vor Ort stärken. Ein drohender Stillstand in der Geschäftstätigkeit gefährdet aktuell aber dieses Engagement“, sagt Dr. Eckhard Ott, Vorstandsvorsitzender des DGRV. Der Grund für die Negativentwicklung sind die veränderten Rahmenbedingungen für Photovoltaik. „Erfreulicherweise hat die Bundesregierung die Ziele für den Klimaschutz nachgeschärft. Der Gesetzgeber ist nun weiter gefordert, mit einem verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien auch die Rahmenbedingungen für die Bürgerbeteiligung zu verbessern“, so Ott weiter.

Die bundesweit 835 Energiegenossenschaften mit ihren 200.000 Mitgliedern haben insgesamt 3,2 Mrd. Euro in Erneuerbare Energien investiert und in 2020 rund 8,8 Terrawattstunden sauberen Strom erzeugt. Damit wurden etwa 3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Strombereich vermieden. Hinzu kommen 110.000 Tonnen vermiedener CO2-Äquivalente im Wärmebereich durch die Versorgung von rund 18.000 Haushalten über genossenschaftliche Wärmenetze. Weitere statistische Daten der Jahresumfrage unter dgrv.de

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