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Den digitalen Reifegrad von Firmenkunden einschätzen

Digitalisierung von Firmenkunden
Rainer Sturm/pixelio

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Die vergangenen Monate des Lockdowns habe es deutlich gezeigt: Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad sind deutlich überlebensfähiger und können sich schneller an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Ein Kreditgeschäft basiert immer auf der wirtschaftliche erfolgreichen Zukunft einer Investition und eines zugrundeliegenden Geschäftsmodells. Daher sind Zukunftsfähigkeit, Kreditgeschäft und Bonitätsbeurteilung seit je her untrennbar miteinander verbunden. Dabei ist die Beurteilung der Kundenbonität einzig auf den Bankwunsch fokussiert, das ausgeliehene Darlehen auch vertragskonform zurück zu erhalten.

Wesen der Bonitätsbeurteilung

Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich die sich die bekannten Instrumente zur laufenden Beurteilung der Bonität von Kreditnehmern weiterentwickelt und vervollkommnet. Allen Instrumenten ist dabei der Ceteris-paribus-Ansatz (ceteris paribus = unter sonst gleichen Bedingungen) gemein: Aus der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft abzuleiten bedingt eine – zumindest annähernde – Kontinuität der Rahmenbedingungen. Dies ist aber durch die nachweisbaren Effekte der digitalen Transformation nicht (mehr) gegeben. Die Aufsicht verlangt jedoch in der MaRisk eine „zukunftsgerichtete Analyse der Kapitaldienstfähigkeit“. Somit kann die Beurteilung der digitalen Reife eines Unternehmens, im Hinblick auf die Erfüllung der Anforderungen der MaRisk (BTO 1.2.1 Tz. 1) relevant sein. Zukunftsausrichtung ist dabei das Maß der Dinge. Um zu beurteilen, ob der Kunde in der Vergangenheit kapitaldienstfähig war, genügte – vereinfacht formuliert – ein Blick in das Kontokorrentkonto. Quantitative Kennzahlen wurden um qualitative Erhebungen ergänzt und mathematisch-statistische Verfahren ergänzen sinnvoll Experteneinschätzungen. Alle Analyseinstrumente basieren ceteris paribus auf validen Erkenntnissen aus der Vergangenheit, um die Zukunft zu prognostizieren. Werden die Rahmenbedingungen der Vergangenheit in der Zukunft (mindestens) vergleichbar bleiben? Wird auf der Basis der Vergangenheitsdaten die Bonitätsbeurteilung ausreichend sein?

Die Zukunft gehorcht nicht der linearen Verlängerung der Vergangenheit

Digitaler Wandel, Industrie 4.0, Internet der Dinge oder Big Data – das sind Schlagworte, die fast tagtäglich zu lesen und im Wirtschaftsleben zu erleben sind. Die Digitalisierung verändert unser Leben mindestens so wie die Elektrifizierung vor etwa 100 Jahren – und das in rasantem Tempo. Wir befinden uns mitten in der vierten Industriellen Revolution. Von Cloud-Computing über Blockchain-Technologie bis hin zu Anwendungen im Bereich Künstlicher Intelligenz: Ständig eröffnen sich neue Perspektiven und Felder für digitale Technik, deren Anwendungsmöglichkeiten und sich daraus entwickelnde neue „digitale Geschäftsmodelle“. Gleichzeitig wächst das Risiko für Kreditnehmer und Finanzierer, den Überblick und  den Anschluss zu verlieren. Das gilt gerade für die kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), der Hauptklientel der Genossenschaftsbanken. Die tradierten Instrumente zur Einschätzung der Kundenbonität als alleiniges Merkmal verlieren an Prognosegüte. Die Beurteilung der „digitalen Reife“ und der „Zukunftsfähigkeit eines Geschäftsmodells“ eines Unternehmens werden ebenso relevant werden wie die Beurteilung der Finanz-, Vermögens- und Ertragslage und der Kapitaldienstfähigkeit in der Vergangenheit.

Digitaler Reifegrad von Unternehmen – Status Quo

In mehreren von der KfW in den vergangenen Jahren vorgestellten Studien wurde zwar festgestellt und kommuniziert, dass sich immer mehr KMU im Mittelstand mit dem Thema der Umsetzung der Digitalisierung befassen. Doch rund 70 Prozent der 3,76 Millionen KMU im Mittelstand beschäftigen sich derzeit immer noch nicht mit dem Thema der Digitalisierung, geschweige denn mit deren Umsetzung. Interessant ist auch, dass sich unabhängig von der Unternehmensgröße dennoch ein Anstieg der sogenannten Umsetzer der Digitalisierung beobachten lässt. Das  Bewusstsein der Notwendigkeit der Digitalisierung und der damit einhergehenden „Zukunftsfähigkeit“ ist teilweise beim Management angekommen. In der Gesamtbewertung kommt die KfW zum Schluss, dass nur etwa jedes fünfte mittelständische Unternehmen Vorreiter bei der Digitalisierung ist, knapp die Hälfte bewegt sich als „Mitläufer“ im Mittelfeld und rund ein Drittel gehört zu den Nachzüglern.

Vier Wirkungen und drei Digitalisierungsgrade

Zur Übersichtlichkeit sei an dieser Stelle angemerkt, dass Digitalisierung branchen- und länderübergreifend vier Wirkrichtungen hat:

  • Automatisierung
  • digitaler Kundenzugang
  • Vernetzung
  • digitale Daten

Erst die Schlüsseltechnologien ermöglichen die Umsetzung dieser Wirkrichtungen durch neu geschaffene Mehrwerte (wie Input durch Sensoren, Output durch Smart Devices oder Aktoren, Robotik, autonome Maschinen, Cloud-IT mit unendlicher Verfügbarkeit, Datenverfügbarkeit, KI – „künstliche“ Intelligenz, Vernetzung, Integration, Crowd, Substitution ganzer Produkte und Dienstleistungen).
Vor diesem Hintergrund werden zusammenfassend drei Digitalisierungsgrade unterschieden:

  • 1. Grad: Automatisierung der Prozesse
  • 2. Grad: Kundennutzen steigern
  • 3. Grad: neue Geschäftsmodelle

Zu beachten ist dabei auch, dass Geschäftsmodelle im Kern jedoch den bekannten betriebswirtschaftlichen Regeln und Nutzenstiftungen (vgl. Schumpeter 1938) folgen.

Veränderungen durch Digitalisierung

Was verändert sich durch die Digitalisierung?

Ein Überblick: Bei detaillierter Betrachtung der Rahmenbedingungen, Wirkungen und Treiber der Digitalisierung lassen sich folgende wesentlichen und grundsätzlichen Faktoren extrahieren:

  • Innovationen, die durch die Digitalisierung möglich werden, werden marktfähig. Dadurch entsteht unter anderem Disruption
  • Die technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich. Die 4. Industrielle Revolution beschleunigt sich, insbesondere auch durch die aktuelle Pandemie.
  • Es existiert unter anderem ein Trend zum nutzen statt besitzen. Die Sharing Economy nimmt an Bedeutung zu.
  • Nachhaltigkeit und Neo-Ökologie werden Basis-Anforderungen an jedes Geschäftsmodell. Ausgelöst und gegenseitig verstärkt werden diese Trends durch
  • veränderte Wertschöpfungsprozesse,
  • die Möglichkeiten des Datenmanagements
  • Innovationen durch Sensoren, Aktoren, Speicher- und Rechnerkapazitäten und Datenübertragungsraten;
  • veränderte Kundenbedarfe und -Wünsche und daraus entstehend
  • veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen.

Bei ungenauer Betrachtung und unzureichender Beschäftigung mit den Wirkungen und den Rahmenbedingungen entsteht aus der Gemengelage von Wirkungen und Treibern ein Bild voller Komplexität, welches häufig mit einer „VUCA-Welt“ (Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität, Mehrdeutigkeit) umschrieben wird.

Steigerung des Wettbewerbes und notwendige Kunden-Zentrierung

Durch den Wettbewerbsdruck der Wirkung des 1. Grades der Digitalisierung (Kosten sparen) und des 2. Grades (Kundennutzen steigern) werden Digitalisierungsvorhaben beschleunigt und bisher bekannte Branchengrenzen aufgehoben. Entscheidend für nachhaltigen Erfolg im Zeitalter der Digitalisierung ist eine digitale Strategie und eine Erweiterung und Erneuerung des Geschäftsmodells, die die Möglichkeiten des Big Data, Industrie 4.0, etc. miteinschließt. Strategie und Finanzierung müssen sinnvoll in Verbindung gebracht werden. Genau das ist der Ansatzpunkt in der Kundenansprache, welches unter anderem auch im Ansprache-Konzept „Digitalisierung“ des BVR beschrieben ist. Dieses Konzept ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es unterstützt den Firmenkundenberater dabei, die Thematik strukturiert mit dem Kunden zu erörtern und gezielte Fragen zu stellen. Für eine Beurteilung des digitalen Reifegrads des Unternehmens durch den Firmenkundenbetreuer stehen genossenschaftlichen Banken die Instrumente wie beispielsweise der VR-Digitalisierungscheck und das VR-Digitalisierungsaudit zur Verfügung. Im Rahmen der Ansprache können mittels eines Checks zum „Digitalen Reifegrad“ die relevanten Kriterien abgefragt und bewertet werden: Geschäftsprozesse, Kommunikation, Datenverarbeitung, Produkte, Dienstleistung, Wertschöpfungsketten, Geschäftsmodell. Auf dieser Basis kann die Zukunftsfähigkeit eines Geschäftsmodells bewertet und wertvolle Hinweise für Kreditnehmer und Kreditgeber gegeben werden. Damit kann das primäre Ziel, das ausgeliehene Darlehen auch vertragskonform zurück zu erhalten, erwartungstreuer erreicht werden.

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