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Genossenschaften schlagen sich sehr ordentlich im Corona-Jahr 2020

Genossenschaften in Baden-Württemberg
BWGV

Die Genossenschaften in Baden-Württemberg sind bisher sehr ordentlich durch die Corona-Pandemie gekommen: So haben die Umsätze der 622 (2019: 630) Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Südwesten im vergangenen Jahr um 2,8 Prozent auf 9,12 Milliarden Euro zugelegt. „Unsere Mitgliedsunternehmen haben sich mit aller Kraft und viel Kreativität gegen die Folgen der Krise gestemmt“, sagt Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), bei der digitalen Jahres-Pressekonferenz des Verbands. Allerdings falle die Betroffenheit durch Corona je nach Branche und geschäftspolitischer Ausrichtung sehr unterschiedlich aus. Das laufende Jahr ist aufgrund der andauernden Pandemie noch von großen Unsicherheiten geprägt. „Auch in der Krise wurde die Stärke und Robustheit des genossenschaftlichen Geschäftsmodells eindrucksvoll unter Beweis gestellt“, ist Glaser überzeugt. „Die Menschen haben gespürt, wie wichtig und wertvoll regional tätige Unternehmen sowie vor Ort erzeugte Produkte und Dienstleistungen sind – in der Landwirtschaft, aber auch in vielen anderen Bereichen. Genau das leisten unsere Genossenschaften.“

„Regionalität, Solidarität und Verlässlichkeit sind wichtige Ankerpunkte für Wirtschaft und Gesellschaft und notwendiger denn je. Wirtschaftlicher Erfolg muss stets mit sozialer Verantwortung einhergehen. All dies vereint das genossenschaftliche Geschäftsmodell in idealer Weise“, betont der Repräsentant der Genossenschaften in Baden-Württemberg. „Krisen können daher durchaus Rückenwind für Genossenschaften geben“, so Glaser weiter. „Durch die Pandemie und ihre Auswirkungen haben die Menschen sehr viel über die heimische Landwirtschaft gelernt. Unsere Genossenschaften und deren Landwirtinnen und Landwirte spüren seitdem eine breitere Akzeptanz und höhere Wertschätzung für regional erzeugte Produkte“, berichtet der BWGV-Präsident. Dies müsse aber auch mit einer angemessenen und auskömmlichen Entlohnung für die Landwirte und einer verbesserten Wettbewerbsstellung der Genossenschaften einhergehen. „Absatzfördernde Maßnahmen müssen gestärkt werden, um neue Käuferschichten für Produkte aus Baden-Württemberg erreichen zu können“, sagt Glaser entsprechend an die künftige baden-württembergische Landesregierung gerichtet.

Kooperationen in Form von Genossenschaften bündeln das Angebot landwirtschaftlicher Produkte, stärken die Marktstellung der heimischen Erzeuger gegenüber Handel und Industrie, entwickeln die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigende Vermarktungsstrategien und ermöglichen so den Erhalt der so wertvollen kleinteiligen Agrarstruktur in Baden-Württemberg. „Die Bedeutung der regionalen, genossenschaftlich organisierten Landwirtschaft war selten so sichtbar wie heute“, sagt Glaser. Daher erhofft er sich durch Corona auch einen langfristigen positiven Effekt für die heimische Landwirtschaft und deren Genossenschaften.

Landwirtschaft: Stabile Umsätze und spürbar mehr Wertschätzung

Die 311 landwirtschaftlichen Genossenschaften in Baden-Württemberg haben ihre Umsätze im Jahr 2020 leicht um 0,3 Prozent auf 3,66 Milliarden Euro gesteigert. In der allgemeinen Warenwirtschaft sind die Erlöse der 43 Genossenschaften (inklusive des Warengeschäfts der Genossenschaftsbanken) um 4,2 Prozent auf 1,11 Milliarden Euro gesunken. Die ZG Raiffeisen sowie die Bezugs- und Absatzgenossenschaften (BAG) bringen das Getreide der Landwirte an den Markt, bündeln für diese den Einkauf von Futter- und Düngemitteln und verkaufen Maschinen, Heizöl und Kraftstoffe. Die Genossenschaften unterstützen ihre Mitglieder mit Preisabsicherungsmodellen, die für die Landwirte in einer zunehmend volatilen Situation Risiken begrenzen helfen. „Genossenschaften sind in sämtlichen landwirtschaftlichen Sparten geradezu existenziell wichtig. Das hat sich durch Corona ganz besonders gezeigt“, betont Glaser. Die Umsätze der 21 Obst-, Gemüse- und Gartenbau-Genossenschaften beziehungsweise -Vertriebsgesellschaften haben sich im Jahr 2020 um 10,5 Prozent auf 543 Millionen Euro erhöht. Die 107 Winzer- und Weingärtnergenossenschaften in Baden-Württemberg hielten ihre Umsätze stabil bei 448 Millionen Euro (minus 0,4 Prozent). Molkereien und Milcherzeuger können ebenfalls auf ein solides Jahr zurückschauen: Die Umsätze der sechs genossenschaftlichen milchverarbeitenden Betriebe stiegen 2020 um insgesamt 7,4 Prozent auf 886 Millionen Euro. Einen Umsatzrückgang um 4,6 Prozent auf 419 Millionen Euro hatte die Viehwirtschaft zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Strukturwandels verringerte sich die Zahl der Mitglieder bei landwirtschaftlichen Genossenschaften um 2.500 auf 95.200.

Genossenschaften: Spannendes Projekt zur Quartiersentwicklung

Aufgrund der Einzigartigkeit des genossenschaftlichen Geschäftsmodells hinsichtlich Solidarität, Nachhaltigkeit, Regionalität und Beständigkeit können Genossenschaften dabei helfen, wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunftsherausforderungen zu meistern. Neun Genossenschaften sind 2020 in den unterschiedlichsten Feldern gegründet worden, in diesem Jahr waren es bisher bereits sechs. Einen Schwerpunkt bei den Gründungen der vergangenen Jahre bilden Genossenschaften im kommunalen Umfeld: Neben der ärztlichen Versorgung stehen Themen wie Mobilität, Betreuung, Pflege, Bildung und die Entwicklung von Stadtquartieren auf der Agenda. Hierfür hat das Landesministerium für Soziales und Integration gemeinsam mit dem BWGV das Förderprojekt „Genossenschaftlich getragene Quartiersentwicklung“ gestartet. Es richtet sich an alle Initiativen und Projekte im Südwesten, die gemeinsam ihr Quartier gestalten und genossenschaftlich verwalten wollen, und bietet diesen professionelle Unterstützung bei der Umsetzung an. Die Sieger eines entsprechenden Ideenwettbewerbs werden noch in diesem Sommer gekürt. „Genossenschaftlich getragene Quartiersentwicklung und erweiterte Daseinsvorsorge rücken als Alternativen zu rein privatwirtschaftlichen Wohnprojekten sowie vorwiegend rein kommunal organisierter Versorgung immer mehr in den Fokus“, erläutert Glaser. Das Spektrum der mit dem Wohnen verknüpfbaren Dienstleistungen für ein attraktives Lebensumfeld umfasst unter anderem die Bereiche der lokalen Nahversorgung, die Betreuung von Kindern und Senioren, kulturelle Einrichtungen, Energieversorgung samt Mobilitätsangeboten oder auch die ärztliche und pflegerische Grundversorgung sowie neue Arbeitsformen wie etwa Co-Working-Spaces.

Neuer Trend: Datengenossenschaften für den Mittelstand

Im hochaktuellen Thema Daten- und Plattformökonomie gewinnen genossenschaftliche Lösungen ebenfalls zunehmend an Bedeutung. „Denn gerade für kleine und mittlere Unternehmen sind die bürokratischen und finanziellen Einstiegshürden in die wertschöpfungssteigernde Nutzung von Daten oftmals zu hoch“, so BWGV-Präsident Glaser. In einer Datengenossenschaft können diese Barrieren gemeinsam überwunden werden, ohne dass die einzelnen Unternehmen ihre Selbstständigkeit aufgeben müssen oder in die Abhängigkeit eines übermächtigen Plattformbetreibers gezogen werden. Wie sogenannte Datengenossenschaften funktionieren können, untersucht der BWGV derzeit gemeinsam mit dem Ferdinand-Steinbeis-Institut und der Universität Stuttgart in einem seitens des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Pilotprojekts.

Enormes Potenzial für genossenschaftliche Betriebsnachfolge

Besonders gut eignen sich genossenschaftliche Lösungen auch für Herausforderungen in kleinen und mittleren Unternehmen – etwa beim drängenden Thema der Betriebsnachfolge. „Bereits drei gute Mitarbeiter genügen, um eine Genossenschaft zu gründen und so den Betrieb gemeinsam fortzuführen“, berichtet Glaser. Der bisherige Inhaber kann seinen Betrieb in vertraute Hände geben und benötigt keinen einzelnen Käufer, der alles alleine übernimmt. Zudem besteht die Möglichkeit, dass der bisherige Inhaber etwa für einige Jahre Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft wird und den Betrieb und die neue Geschäftsleitung so weiter begleiten kann. Der BWGV sieht in den kommenden Jahren ein enormes Potenzial für Genossenschaftsgründungen zur Nachfolgeregelung beziehungsweise Mitarbeiterbeteiligung. Das trifft vor allem auf das Handwerk zu, in dem der Bedarf besonders hoch ist. „Durch Genossenschaften können hier viele Betriebe weitergeführt und auch Arbeitsplätze erhalten bleiben“, sagt Glaser.

Ein besonders vielversprechendes Konzept sind zudem Gesundheitsgenossenschaften wie kooperative Pflegeangebote und -einrichtungen oder genossenschaftliche Ärztehäuser, mit denen unter anderem dem drohenden Ärztemangel insbesondere im ländlichen Raum begegnet werden kann. Praxisgenossenschaften etwa bieten flexible Arbeitszeiten, Angestelltenverhältnisse und Möglichkeiten zur Teilzeit-Beschäftigung für Mediziner sowie geteilten Verwaltungsaufwand. Das ist für junge Medizinerinnen und Mediziner häufig attraktiver als die Selbstständigkeit. „Die qualitativ hochwertige, flächendeckende und ortsnahe medizinische Versorgung ist ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit der Städte und Gemeinden. Hierbei können Genossenschaften eine wichtige Rolle spielen“, verdeutlicht Glaser.

Gewerbliche Genossenschaften wachsen trotz Corona

Der Gesamtumsatz aller 311 gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften in Baden-Württemberg legte trotz der Corona-Pandemie um 4,6 Prozent auf 5,46 Milliarden Euro zu. Die gewerblichen Genossenschaften decken fast die gesamte wirtschaftliche Bandbreite ab – vom Kinderarzt über Handelsgenossenschaften, Kooperationen aus dem Handwerk, Energiegenossenschaften und Dorfläden bis hin zu Kaminbauern, Softwareschmieden und Beratern. Die Zahl der Mitglieder im gewerblichen Bereich stieg im vergangenen Jahr um 9.080 auf 91.140. Nahezu zwei Drittel des Umsatzes in der Gruppe der gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften entfallen auf die zwölf Genossenschaften des Fachhandels (darunter Intersport und Euronics). Sie verzeichneten einen Umsatzanstieg um 7,4 Prozent auf gut 3,35 Milliarden Euro. Mit einem Umsatzwachstum von 0,5 Prozent auf gut 1,54 Milliarden Euro war die Entwicklung der 27 Genossenschaften des Handwerks 2020 ebenfalls positiv. 18.470 Handwerksbetriebe in Baden-Württemberg sind bereits genossenschaftlich organisiert. Die 147 Energiegenossenschaften erwirtschafteten 2020 einen Umsatz von 389 Millionen Euro, was einem Plus von 4,0 Prozent entspricht. Hinter den Energiegenossenschaften stehen 44.260 Einzelmitglieder. Der BWGV sieht für Energiegenossenschaften besonders in den Bereichen Nahwärme, Mieterstrommodelle, Elektro-Mobilität und bei Kooperationen untereinander sowie mit Kommunen oder Stadtwerken noch erhebliches Potenzial.

Nahezu 34.000 Menschen im Land arbeiten für Genossenschaften

Die traditionsreiche und vielfach bewährte Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft (eG) verbindet seit weit mehr als 150 Jahren wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Genossenschaftsmitglieder in Baden-Württemberg um rund 500.000 auf mehr als 3,92 Millionen angewachsen. Das ist mehr als jeder dritte Einwohner. Ursache dieser Entwicklung sind viele Neugründungen von Genossenschaften. Zudem wurden und werden viele Menschen Mitglied bei einer der 159 Volksbanken und Raiffeisenbanken im Land. In keinem anderen Bundesland ist die Mitgliederdichte so hoch wie im Südwesten. Auch gab es hierzulande noch nie so viele unterschiedliche Genossenschaften wie heute. Die aktuell 781 Unternehmen in der Rechtsform der eG verteilen sich auf rund 50 Branchen. 33.850 Menschen (Ware: 13.080, Banken: 20.770) arbeiten für Genossenschaften. Zudem bilden die Genossenschaften 2.256 junge Menschen aus (Ware: 510, Banken: 1.746).


 

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