Genossenschaften prägen den Ländlichen Raum in Baden-Württemberg sehr stark mit. Nicht nur durch die Dichte an Genossenschaftsbanken über das ganze Bundesland verteilt und aufgrund der landwirtschaftlichen Erzeugergemeinschaften, Winzer- und Weingärtnergenossenschaften sowie Bezugs- und Absatzgenossenschaften, sondern zunehmend auch durch Genossenschaften, die für die Daseinsfürsorge auf dem Land Verantwortung übernehmen wie beispielsweise genossenschaftlich getragene Dorfläden oder Ärztegenossenschaften als eine Antwort auf das schleichende „Landärzte-Sterben“ in unserem Bundesland. Darüber und über die wichtigen Aufgaben des ressortübergreifenden Kabinettsausschusses Ländlicher Raum der Landesregierung sprach die Geno-Graph-Redaktion mit dem Vorsitzenden des Kabinettsausschusses Peter Hauk MdL, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz.
Herr Minister Hauk, Sie sind Vorsitzender des Kabinettsausschusses Ländlicher Raum. Was ist ein Kabinettsausschuss und welche Aufgaben übernimmt er?
in Baden-Württemberg
Kabinettsausschüsse sind bedeutende Instrumente der Landesregierung, um zentrale, ressortübergreifende und komplexe Fragestellungen zu bearbeiten und Schwerpunkte in der Politik zu setzen. Im Zentrum des Kabinettsausschusses Ländlicher Raum steht das Staatsziel der Förderung von gleichwertigen Lebensverhältnissen, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen im gesamten Land. Dieser Verfassungsauftrag wird mit dem Kabinettsausschuss mit Leben gefüllt.
Mit der Einrichtung des Kabinettsausschusses haben wir deutlich gemacht, dass die Zukunft des Ländlichen Raums eines der zentralen Themen dieser Landesregierung ist. Dies wird unterstrichen durch die Tatsache, dass sich alle Fachministerinnen und Fachminister daran beteiligen. Die angestoßenen Maßnahmen, erarbeiteten Handlungsempfehlungen, zahlreichen Veranstaltungsformate und erfolgreichen Projekte machen das nachhaltige Erfolgskonzept des Kabinettsausschusses sichtbar und unterstreichen seinen hohen Wirkungsgrad.
Der Kabinettsausschuss wird auch als „Anwalt des Ländlichen Raumes“ bezeichnet. Wie gelingt es, die Interessen des Ländlichen Raumes gesamthaft wahrzunehmen und zu vertreten?
Im Kabinettsausschuss werden alle für den Ländlichen Raum relevanten Fragen gebündelt. Er erfüllt die Aufgabe, die wichtigen Themen, welche den Ländlichen Raum direkt betreffen, innerhalb der Landesregierung zu verknüpfen und hat sich dabei als eine passende Plattform zur Vertiefung ressortübergreifender Fragestellungen und gemeinsamer Modellprojekte entwickelt.
Gerade weil der Ländliche Raum von vielen verschiedenen Themenbereichen berührt ist, ist auch der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie Verbänden und kommunalpolitisch Verantwortlichen von großer Bedeutung. So ist es mir ein wichtiges Anliegen, im Rahmen unserer zahlreichen Veranstaltungen direkt mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie allen Akteuren des Ländlichen Raums ins Gespräch zu kommen. Aktuell tausche ich mich im Rahmen von digitalen Kommunaldialogen mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aller Landkreise aus.
Gemeinsam wollen wir nachhaltige Lösungen für komplexe Zukunftsfragen und Herausforderungen des Ländlichen Raums erarbeiten. Wir wollen die wichtigen Themen und Fragestellungen, die den Ländlichen Raum als politischen Querschnittsbereich direkt betreffen, innerhalb der Landesregierung verknüpfen und mit durchdachten und pragmatischen Lösungsansätzen voranbringen.
Der Kabinettsausschuss Ländlicher Raum wurde erstmals in der Legislaturperiode 2016 bis 2021 eingesetzt. Welche Ergebnisse konnten erzielt werden?
Es ist uns gelungen, konkrete Maßnahmen umzusetzen, innovative Projekte anzustoßen und nachhaltige Konzepte zu entwickeln. Dabei standen vor allem die Sicherung einer wohnortnahen und qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung, attraktive Arbeitsbedingungen, eine bedarfsgerechte Organisation von Mobilität und Verkehr sowie die Stärkung der Schulstandorte im Ländlichen Raum im Mittelpunkt.
»Ein Leuchtturmkonzept aus dem Kabinettsausschuss sind die genossenschaftlichen Hausarztmodelle«
In vielen Bereichen wurde der Ländliche Raum verstärkt in den Fokus gerückt. Zum Beispiel wurden mit dem Ideenwettbewerb „Lokale Online-Marktplätze“ gerade in der Corona-Pandemie die örtlichen Händler unterstützt und ihnen mit digitalen Lösungsansätzen ein wertvolles Instrument an die Hand gegeben. Ein weiteres Leuchtturmkonzept aus dem Kabinettsausschuss sind die „Genossenschaftlichen Hausarztmodelle“. Ein Projekt, welches wir gemeinsam mit dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband, dem Gemeindetag und dem Hausärzteverband durchgeführt haben. Ziel ist es, jungen Ärztinnen und Ärzten attraktive Rahmenbedingungen für die Arbeit auf dem Land zu bieten. Außerdem wurde durch die Beratungen im Kabinettsausschuss die vorzeitige Ausschreibung von Lehrerstellen in Bedarfsregionen in die Wege geleitet. Die besondere Berücksichtigung des Ländlichen Raums konnte bei Förderaufrufen oder – durch die Einführung der Landarztquote – bei der Vergabe von Studienplätzen begleitet und auf den Weg gebracht werden.
Der Kabinettsausschuss hat sich am 23. November 2021 für die aktuelle Legislaturperiode konstituiert. Welche Themen sollen in den nächsten fünf Jahren bearbeitet werden? Wie können wir als BWGV uns hierbei einbringen und wo können unsere rund 800 Genossenschaften – getreu der Vision des BWGV – noch mehr zur Stärkung des Landes beitragen?
Mit dem Kabinettsausschuss stellen wir den Ländlichen Raum und die Menschen, die dort leben und arbeiten, weiterhin in den Fokus unserer Politik. Die Bürgerinnen und Bürger sollen überall optimale Rahmenbedingungen vorfinden, unabhängig von ihrem Wohnort. Dazu gehören beispielsweise eine gute Erreichbarkeit der Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs, eine flächendeckende medizinische Versorgung sowie bezahlbares Wohnen in Orten mit einer lebendigen Gemeinschaft und einladenden Ortskernen, einem aktiven Vereinsleben und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen.
Schwerpunkte unserer Arbeit bleiben daher die wichtigen Bereiche Pflege und Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und Kultur im Ländlichen Raum. Darüber hinaus erarbeiten wir gemeinsam mit dem Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen sowie dem Verkehrsministerium die Rahmenbedingungen für zukunftsfähige und erfolgreiche Ländliche Räume.
»Der BWGV begleitet unsere Arbeit kontinuierlich und ist ein wichtiger Impulsgeber«
Der BWGV begleitet unsere Arbeit dabei kontinuierlich und ist ein wichtiger Impulsgeber. Nicht nur in unserem gemeinsamen Projekt der genossenschaftlichen Hausarztmodelle ist der BWGV ein wertvoller Partner für die Arbeit des Kabinettsausschusses. Auch im Projekt „Der Ländliche RAUM für Zukunft“ stoßen wir gemeinsam mit dem BWGV als Mitglied im Bündnis Ländlicher Raum ganzheitliche und umsetzungsorientierte Zukunftsprozesse vor Ort an.
Der Ländliche Raum Baden-Württembergs steht für ein besonderes Gefühl des Zusammenlebens, der Gemeinschaft und des Miteinanders, welches sich in einer selbstverständlichen und aktiven „Mitmachgesellschaft“ ausdrückt. Nirgendwo wird dieser Ansatz so deutlich wie in den zahlreichen Genossenschaften des Landes, in denen die Grundsätze der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung mit Leben gefüllt werden. Gerade während und nach der Corona-Pandemie sind Tatkraft, Ideen und Visionen für ein lebenswertes Miteinander und attraktive Orte der Begegnung gefragt.
Denn bei allen Anstrengungen für optimale Rahmenbedingungen für die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs soll eines nicht vergessen werden: Es sind die Menschen vor Ort, die mit ihrem Engagement in Vereinen und Ehrenamt und mit ihren innovativen Ideen den Ländlichen Raum bei uns attraktiv und stark machen. Diese starke Gemeinschaft ist der Grundpfeiler eines leistungsfähigen und lebenswerten Ländlichen Raums.
