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Innovationspotenzial von Genossenschaften revitalisieren – Plattform, Netzwerk, Agilität

Innovationspotenzial Genossenschaften in BW
S. Hofschlaeger/pixelio.de

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Massive Umwälzungen im Marktumfeld, verstärkt durch disruptive Technologien, stellen viele Unternehmen vor die existenzielle Frage, wie sie ihr etabliertes Geschäftsmodell zukunftsfähig weiterentwickeln können beziehungsweise wie sie sich unter Umständen grundlegend neu aufstellen müssen. Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (kurz VUKA) sind in diesem Kontext jene ungünstigen Begleiterscheinungen, die auch genossenschaftliche Unternehmen beeinflussen. Die vielfältigen Herausforderungen im Unternehmensumfeld, wie beispielsweise ungünstige demografische Entwicklungen, eine zunehmende Urbanisierung bei steigendem Bedarf an regionaler Daseinsvorsorge, Wettbewerbsdruck durch neue Geschäftsmodelle und Konkurrenten infolge der Künstlichen Intelligenz beziehungsweise Digitalisierung – zum Beispiel durch FinTechs – bedingen die Suche nach Orientierung, nach einem strategischen Kompass sowohl für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Kernidee Raiffeisens: Innovative Lösungen für jeweils aktuelle Herausforderungen

Tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft verbunden mit disruptiven Entwicklungen können aber zugleich auch eine Quelle (sozialer) Innovationen sein. Historisch betrachtet gab es bereits zu Zeiten Friedrich Wilhelm Raiffeisens erhebliche ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Herausforderungen, die vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten mit existenziellen Mangelsituationen einhergingen. Zudem hatte sich die Lage der Bevölkerung durch den gewaltigen Ausbruch des Vulkans Tambora (1815) in Indonesien zugespitzt, der in Mitteleuropa zu sinkenden Temperaturen und höheren Niederschlägen führte, mit gravierenden Folgen für Landwirtschaft und Bevölkerung: Vor allem in Süddeutschland verarmten weite Teile der Bevölkerung. Für Raiffeisen war dies der entscheidende Anlass, mit dem genossenschaftlichen Modell einen neuen, innovativen Weg zu bestreiten, der auf Basis genossenschaftlicher Prinzipien zur Lösung aktueller Herausforderungen erfolgreich beitrug.

Genossenschaften durchziehen alle gesellschaftlichen Gruppen, die Ansätze der Hilfe zur Selbsthilfe suchen. Es werden alte und neue Betätigungsfelder entdeckt, aus denen sich der Staat zusehends zurückzieht oder erst gar nicht tätig werden möchte. Die Bedarfe der Menschen sind zweifelsohne heute anders als zu Zeiten Raiffeisens vor 170 Jahren. Damals ging es oft ums blanke Überleben. Heute ist die Bedürfnislage vor allem durch gemeinsame mitgliedergetragene Projekte in Pflege, Kinderbetreuung, Wohnen, Mobilität oder Energie gefragt. Die demografische Entwicklung und dabei vor allem der Pflege- und Wohnbedarf sind wichtige Herausforderungen der Daseinsvorsorge, die sich nachweislich in Form eines genossenschaftlichen Modells erfolgreich organisieren lassen. Ein großes Innovationspotenzial ist daher in der Mobilisierung von bürgerschaftlichem Engagement zu sehen.

Aus unserer Sicht sind es vor allem zwei Kernkompetenzen, die das Innovationspotenzial einer Genossenschaft hervorbringen: Zum einen die Fähigkeit, bei stetigem Wandel von Gesellschaft, Markt und Umwelt auf Basis des Kreativitätspotenzials der Mitglieder, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln. Zum anderen die sogenannte Plattformkompetenz (auf neudeutsch „Hub“): Um die genannten Problemlösungen zu entwickeln, bedarf es der Fähigkeit, ein schlagkräftiges Netzwerk von Anspruchsgruppen („Stakeholdern“) zu konfigurieren und zu koordinieren. Dieses Netzwerk setzt sich zum Ziel, nicht nur tragfähige Lösungen gemeinsam zu entwickeln, sondern auch umzusetzen. Zahlreiche Genossenschaften haben über Jahrzehnte unter Beweis gestellt, dass ihnen unter den unterschiedlichsten Umwelt- und Rahmenbedingungen genau das gelingt. Für die Zukunft bedarf es unseres Erachtens noch einer dritten Kompetenz: Agilität. Hier sehen wir bei Genossenschaften durchaus noch Nachholbedarf. Gerade in der heutigen, komplexen „VUKA-Welt“ ist Agilität möglicherweise eine Schlüsselkompetenz, um genossenschaftliche Unternehmen – im Sinne der vorhin erwähnten Plattform und ihr Netzwerk – „resilient“ zu gestalten.

Festes Fundament in stürmischen Zeiten – Die genossenschaftlichen Werte

In Anbetracht der vielfältigen komplexen Herausforderungen, denen wir uns gesellschaftlich gegenübergestellt sehen, werden vermutlich mehr kooperative beziehungsweise gemeinschaftliche Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens benötigt werden. Zur Orientierung dienen die genossenschaftlichen Grundprinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Eng damit verbunden sind die genossenschaftlichen Werte und Attribute, wie beispielsweise Demokratie, Solidarität, Eigenverantwortung, Regionalität und Subsidiarität. Die Mitglieder werden durch den genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb in die Lage versetzt, ihre ökonomische Situation selbst zu verbessern. Jede Genossenschaftsgründung dient einem Förderzweck, der gesetzlich verankerten und damit verpflichtenden Förderung der Mitglieder. Die basisdemokratische Rechtsform ermöglicht im Rahmen der Selbstverwaltung eine gleichberechtigte Mitbestimmung (ein Mitglied – eine Stimme) bei grundlegenden ökonomischen Entscheidungen der Genossenschaft – Grundlage des genossenschaftlichen Handels ist stets der an einem nachhaltigen Wirtschaften orientierte Mitgliederwille. Die Mitglieder sind zugleich Kunden, Teilhaber und Entscheidungsträger ihrer Genossenschaft. Das genossenschaftliche Wertefundament, die mitgliederbasierte Unternehmensform, die dezentrale unternehmerische Verantwortung und die für genossenschaftliche Organisationen typischen Governance-Strukturen im Sinne einer „doppelten Anreizstruktur“ machen das genossenschaftliche Modell einzigartig.

Was einer alleine nicht kann … Die Innovationskraft der Gemeinschaft

Raiffeisen kann als Prototyp eines Social- beziehungsweise Sustainable-Entrepreneurs charakterisiert werden. Er war intrinsisch motiviert und versuchte in gemeinschaftlicher kooperativer Weise, tragfähige Lösungen für reale gesellschaftliche, ökologische und/oder ökonomische Herausforderungen zu entwickeln, aus denen letztlich neue richtungsweisende Innovationsfelder entstanden. Vergleicht man ihn in diesem Kontext mit dem „Schumpeterischen Unternehmer“, besteht der Unterschied zu Raiffeisen vor allem darin, dass Raiffeisen die Stärke der Gemeinschaft und deren Kreativitätspotenzial zu fördern und zu nutzen vermochte, im Bewusstsein, dass viele schaffen können, was einer alleine nicht schafft. Die Kredit- und ländlichen Genossenschaften sowie viele von den Wesensprinzipien abgeleiteten Genossenschaften sind ein historischer und aktueller Beleg für das weitreichende Innovationspotenzial der genossenschaftlichen Unternehmensform.

Lokale „Innovation-Hubs“ als Chance für eine Revitalisierung der Genossenschaftsidee

Im Kontext lokaler beziehungsweise regionaler Innovationsökosysteme bieten sich für Genossenschaften – neben den vielfältigen Herausforderungen der bereits thematisierten Entwicklungstrends – auch Chancen: Die Digitalisierung beinhaltet für Genossenschaften aufgrund der bei ihnen vorhandenen Netzwerkkompetenz das Potenzial, das vorhandene Beziehungsnetzwerk aus (lokalen) Anspruchsgruppen („Stakeholdern“) wie Kunden, Mitgliedern, Handwerk, Unternehmen, öffentliche Verwaltung und interdisziplinären Hochschulpartnern mit Hilfe digitaler Plattformen effektiver zu bündeln und zu erschließen. In der Folge könnte sich für die Volksbanken und Raiffeisenbanken eine neue Rolle als Netzwerkknotenpunkt („Hub“) ergeben, der ein lokales Ökosystem für Innovationen initiiert und koordiniert und somit die Funktion einer Innovationsplattform („Hub for Innovation“) übernimmt.

Die Konzeption eines transdisziplinären Reallabors („Living Lab“), dessen Ziel es ist, auf reale Herausforderungen real-implementierbare Lösungen zu entwickeln, bietet sich hierzu an. Hochschulen, die bereits Erfahrungen mit dieser Herangehensweise sammeln konnten, können sowohl beim Aufbau eines Innovationsökosystems unterstützen als auch als Know-how-Partner – zum Beispiel durch das Bereitstellen aktueller Forschungsergebnisse – in unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten eingebunden werden. Im Idealfall entstehen aus dem kreativen Zusammenspiel der beteiligten Partner neue Produkte und Dienstleistungen, innovative Geschäftsmodelle, Existenzgründungen, Arbeitsplätze etc. Am Beispiel der Region Vancouver, die sich in den vergangenen Jahren zu einem der weltweit führenden Innovationsökosysteme entwickelt hat, lässt sich anschaulich beobachten, wie in einer Region gemeinschaftlich-kooperativ erfolgreich Innovationen in vielfältigen Bereichen entwickelt werden können. Unter anderem ist die Genossenschaftsbank VanCity als aktiver Partner an den dortigen Innovationsprozessen beteiligt. (Hinweis: Unter folgendem Link kann eine anschauliche Infografik zu diesem Thema heruntergeladen werden: https://www.adgonline.de/akademie/zukunftsthemen/genossenschaften/adg-genomission/loesungsraeume/wandbild-innovationsformate.pdf?cid=yz Die Infografik ist als Wandbild auf Schloss Montabaur in den Räumlichkeiten der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) im Rahmen der genossenschaftlichen Campus-Expeditionen zu sehen.)

Einige wesentliche Erfolgsfaktoren können Genossenschaftsbanken helfen, die Gestaltungsfunktion als Innovationsplattform möglichst effektiv zu übernehmen:

  • Denken in „Plattform-Konfigurationen“ (konsequente Vernetzung)
  • Verinnerlichung der „Ökosystem-Logik“
  • Nutzung des Kreativitätspotenzials und (intrinsische) Motivation im Sinne Raiffeisens
  • Fähigkeit zu „Reinventing the organization“ (Frederic Laloux)
  • agile Adaptionsfähigkeit: Fexibel, proaktiv, antizipativ, initiativ agieren, um auf neue Herausforderungen zeitnah innovative Lösungen entwickeln zu können.

Auf „Neudeutsch“ ließen sich diese Erfolgsfaktoren vielleicht wie folgt zusammenfassen: Auf den Dreiklang aus „Mindset“ (Einstellung), „Purpose“ (Sinnstiftung, Bestimmung) und angestrebtem „Impact“ (Wirkung) kommt es an.

Die Übersicht unten fasst die wichtigsten Formate, Methoden und Prinzipien – die sich zumindest implizit am „Mindset“ Raiffeisens orientieren – von erfolgreichen im Living-Lab-Design gestalteten Innovationsökosystemen zusammen (siehe Tabelle). Diese Prinzipien, Formate und Methoden lassen sich auch von Genossenschaften dafür nutzen, das Kreativitätspotenzial der Netzwerkmitglieder für neue Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle bis hin zu Startups auf lokaler beziehungsweise regionaler Ebene zu nutzen, zum Beispiel in Form einer Innovationsgenossenschaft. Aber auch für Volksbanken und Raiffeisenbanken sind die Ansätze von Nutzen, um sich im Sinne der Zukunftsfähigkeit „neu zu erfinden“ und resilienter zu werden.

Fazit

In der jüngeren Vergangenheit sind in zahlreichen Städten Deutschlands (zum Beispiel Berlin, München, Frankfurt, Stuttgart) Innovationsökosysteme entstanden, aus denen sich bereits eine ganze Reihe erfolgreicher Startups entwickelt haben. Für Genossenschaftsbanken bietet sich die Chance, sich hier als Innovationspartner aktiv zu beteiligen. Sie sind aber nicht darauf angewiesen, denn sie können als „Innovation Hubs“ selbst lokale Innovationsökosysteme in ihren jeweiligen Regionen initiieren. Hierzu stehen in Kürze auch weitergehende Informationen in einem Whitepaper zum Thema „Regionale Ökosysteme“ zur Verfügung, welches in der Whitepaper-Reihe des neugegründeten Forschungsinstituts ADG Scientific – Center for Research and Cooperation (www.adg-scientific.de) - noch in diesem Quartal erscheinen wird.

Innovationspotenzial Genossenschaften
Prinzipien, Methoden, Formate erfolgreicher Innovationsökosysteme

 

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