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Wie man Raiffeisen-Genossenschaften den Mitgliedern von morgen näherbringt

Schulung BWGV zukünftige Genossenschaften
Johanna Knobloch

Was ist eine Genossenschaft? Welche Besonderheiten weist diese Rechts- und Unternehmensform auf? Was hat Friedrich Wilhelm Raiffeisen damit zu tun? Johanna Knobloch beantwortet diese Fragen dem land- und weinwirtschaftlichen Nachwuchs in Baden-Württemberg. Darüber sprach die Beraterin aus dem BWGV-Bereich Beratung Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften mit der Geno-Graph-Redaktion.

Frau Knobloch, Sie sind regelmäßig in landwirtschaftlichen und weinbaulichen Fachschulen unterwegs und unterrichten dort die Grundlagen des Genossenschaftswesens. Wie kam es dazu?

Der Anstoß zu unserem Engagement kam von den Raiffeisen-Genossenschaften selbst beziehungsweise insbesondere von den ehrenamtlichen Gremienmitgliedern sowie den Mitgliedern beispielsweise unseres BWGV-Fachrats Ländliche Ware. Diese merken, dass die Bindung junger Mitglieder an ihr genossenschaftliches Unternehmen stark abnimmt. In einigen Gebieten Baden-Württembergs haben wir zudem ernst zu nehmende Image-Probleme des genossenschaftlichen Modells. Die meisten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder nehmen eine „Entfremdung“ der jungen Landwirte- und Winzergeneration von ihren Genossenschaften wahr, wissen jedoch keine Antwort. So erreichte uns der Auftrag. Der BWGV ist hier in vielen Bereichen tätig. Die Schulungen zum Genossenschaftswesen an landwirtschaftlichen und weinbaulichen Fachschulen sind nur ein Teil. Ebenso erwähnenswert sind unter anderem die Initiative „Generation Geno“ (https://generationgeno.de) mit einer lebhaften Facebook-Community sowie unsere Beratungen einzelner Genossenschaften bei der Entwicklung individueller Programme zur Bindung junger Mitglieder.

Zurück zu dem Engagement an den Fachschulen: Was machen Sie genau?

Johanna Knobloch BWGV-Akademie
Johanna Knobloch: „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jeden Fachschüler einer weinbaulichen oder landwirtschaftlichen Fachschule in Baden-Württemberg im Rahmen seiner Ausbildung mit unserem Angebot zu erreichen. In 2018 – dem Raiffeisen-Jahr – werden wir das Ziel erreichen.“

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jeden Fachschüler einer weinbaulichen oder landwirtschaftlichen Fachschule in Baden-Württemberg im Rahmen seiner Ausbildung mit unserem Angebot zu erreichen. In 2018 – dem Raiffeisen-Jahr – werden wir das Ziel erreichen. Zusätzlich bieten wir unser Programm allen Schülern eines Vorbereitungslehrgangs auf die Prüfung zur Fachkraft Landwirtschaft beziehungsweise Weinbau an. Das ist – vereinfacht dargestellt – die Ausbildung für Nebenerwerbslandwirte beziehungsweise -winzer und -weingärtner. Wichtig ist, dass wir mehr bieten als graue Theorie zur Rechtsform eingetragene Genossenschaft. Neben der Vermittlung der Idee Raiffeisens und des grundlegenden Aufbaus einer Genossenschaft mit ihren Organen sowie deren Rechte und Pflichten ist es uns auch immer ein Anliegen, die Teilnehmer mit dem Gedanken der Übernahme von Verantwortung in einem Gremium ihrer Genossenschaft vertraut zu machen. Oft teile ich zum Beispiel im Rahmen des Theorie-Unterrichts die Teilnehmer in Gruppen von Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliedern mit verschiedenen Interessen ein, gebe ein realitätsnahes Szenario vor und lasse diese dann gemeinsam eine Generalversammlung durchspielen. Das löst bei den Studierenden oft Aha-Erlebnisse aus.

Last but not least bieten wir eine Plattform zum Austausch der jungen Betriebsleiter mit Vertretern ihrer genossenschaftlichen Unternehmen. Entweder wir laden Vertreter der Genossenschaften ein, mit uns in die Schulen zu gehen oder – in den meisten Fällen – die Fachschulen geben uns die Möglichkeit, die Teilnehmer auf Exkursion einzuladen und verschiedene Genossenschaften zu besuchen. Dann geht es nicht darum, dort Gebäude und Anlagen zu sehen, sondern über die strategische Ausrichtung des Unternehmens zu sprechen, Herausforderungen der Zukunft und wie man sich diesen stellen will zu diskutieren - und was mir ganz wichtig ist: Ich bitte stets die ehrenamtlichen Gremienmitglieder, dass sie von ihrer Motivation für ihre Tätigkeit berichten.

Wir feiern in diesem Jahr den 200. Geburtstag Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Wie kann man junge Landwirte und Winzer beziehungsweise Weingärtner für die genossenschaftliche Rechtsform begeistern?

Ganz einfach. Was wohl so ein junger Landwirt in Sachen Genossenschaftswesen als sperrig, staubtrocken und vollkommen unsexy einstufen würde? Mir fällt da das Genossenschaftsgesetz ein – und genau damit fange ich an! Ich lese Paragraph 1 des Genossenschaftsgesetzes vor: „Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder (…) durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern...“ Dann erläutere ich kurz, dass, immer wenn „eG“ drauf steht, dieser Förderzweck per Gesetz oberste Priorität hat. Schon sind wir mitten drin im Thema und meistens folgen sogleich kritische Fragen.

Was ist die häufigste Kritik und was setzen Sie der entgegen?

Schulung BWGV-Akademie
Vorher – nachher: Nach den Schulungen sind die Meinungen über Sinn und Zweck von ländlichen Genossenschaften (unten) stets deutlich positiver als zu Beginn.

Die Genossenschaften werden vor allem an ihren Preisen gemessen, seien es beispielsweise die Preise für Pflanzenschutzmittel bei den Warengenossenschaften oder die Auszahlungspreise für Milch oder Trauben. Aus diesem Bereich gibt es dann auch die meiste Kritik – in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Stärke der Genossenschaften in der jeweiligen Region. Mir ist es wichtig, klar zu machen, dass Genossenschaften wie alle anderen Unternehmen Marktteilnehmer sind. Natürlich läuft nicht alles super, nur weil es in der Rechtsform eG geschieht. Aber die Grundidee ist super – heute genauso wie vor 160 Jahren. Wenn ich mit dieser Grundhaltung in die Klassen gehe, kann ich einerseits für genossenschaftliche Ideen werben und bin gleichzeitig offen für kritische Rückmeldungen. So ist es meistens möglich, die Junglandwirte und -winzer zu erreichen. Im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit den Genossenschaften vor Ort habe ich übrigens viele ehrenamtliche Gremienmitglieder erleben dürfen, die diesbezüglich ganz tolle Arbeit leisten. Ich bin immer wieder begeistert von dem Engagement und der Überzeugungskraft. Wenn ich Nachholbedarf spüre, dann meistens beim Hauptamt.

Was können Sie genossenschaftlichen Vertretern zum Umgang mit Kritik junger Mitglieder empfehlen?

Wenn ich im Nachgang Begegnungen von jungen Landwirten mit genossenschaftlichen Vertretern analysiere, die ein schlechtes Image noch verstärkt haben, dann lag es wohl meistens an unserer Grundhaltung. Wir sollten bereit sein, den Betriebsleitern von morgen auf Augenhöhe zu begegnen – auch wenn das Wissen zum Genossenschaftswesen bei den Gesprächspartnern geringer ist, auch wenn die Vorwürfe teils nicht gerechtfertigt oder sogar unangebracht sein können. Wir brauchen die Bereitschaft, uns hinterfragen zu lassen und uns der Diskussion zu stellen. Nicht als Gegner, der gewinnen will im verbalen Duell, sondern als Partner, der aus dem Austausch viel für sich lernen kann. Gut beschreibt es der persische Mystiker Rumi, 13. Jahrhundert: „Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Hier können wir einander begegnen.“ Mit dieser Haltung gelingt der gute Austausch.

Sehen Sie in der Grundhaltung die entscheidende Lösung zur Verbesserung des Images von Genossenschaften bei jungen Betriebsleitern?

Nein, natürlich nicht. Wir müssen akzeptieren, dass alle Image- Arbeit zum Genossenschaftswesen vergebene Mühe ist, wenn Genossenschaften aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit ihrem Förderzweck nicht nachkommen. Die tagtägliche Leistung einer Genossenschaft ist der größte Stellhebel für das Image. Gleichzeitig halte ich es für wichtig, den Dialog zu suchen. Die Grundhaltung ist entscheidend für einen guten Dialog. Der Dialog mit den Mitgliedern (egal welchen Alters) ist übrigens eine echte Zukunftsaufgabe. Durch Fusionen sind viele Genossenschaften gewachsen. Und es ist weiteres Wachstum zu erwarten. In dem Austausch mit den jungen Mitgliedern spüre ich deutlich: je größer die Genossenschaft, umso schwieriger die Identifikation der Mitglieder mit ihrem Unternehmen. Der BWGV und seine Mitglieder werden also auch in Zukunft immer wieder gefordert sein, Lösungen für die Herausforderungen der Mitgliedernähe zu entwickeln.

Wir können im Rahmen von Befragungen vor sowie nach unseren Schulungen an den Fachschulen deutliche Steigerungen beispielsweise der Wahrnehmung von Genossenschaften als „das Unternehmen der Mitglieder“ oder der Zustimmung zu Aussagen wie „Genossenschaften sind zukunftsfähige Partner der Landwirte“ feststellen. Und dennoch: Unser Engagement an landwirtschaftlichen und weinbaulichen Fachschulen ist nur eine kleine Antwort auf große Herausforderungen. Ich bleibe dabei: Die tagtägliche Leistung einer Genossenschaft ist der größte Stellhebel für das Image.

Buch „Bankier der Barmherzigkeit“

Das knapp 100 Seiten umfassende Büchlein „Bankier der Barmherzigkeit: Friedrich Wilhelm Raiffeisen“ von Michael Klein, der über Raiffeisen promovierte, schildert anschaulich mit Hilfe von Abbildungen und zahlreichen Originaltexten das bewegte und bewegende Leben Friedrich Wilhelm Raiffeisens. Neukirchener Verlag, ISBN 978-3-7615-5921-5.

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