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Genossenschaften und Bildung

Schülergenossenschaften als Modell für praktisches Lernen
Dieter Schütz / pixelio.de

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Frühkindliche Erziehung, Schule, berufliche Bildung und lebenslanges Lernen sind die Kernbereiche der baden-württembergischen Bildungspolitik. „Die Stärke des Landes liegt in seiner Fläche“, sagte Kultusminister Stoch im Fachforum Bildung auf dem zweiten Zukunftsforum Genossenschaft am 30. September in Stuttgart. Wesentliches Anliegen einer fairen Bildungspolitik sollte daher sein, gleiche Voraussetzungen und Möglichkeiten in allen Regionen des Landes zu schaffen, sodass jedem Menschen ein gerechter Zugang zu unterschiedlichen Bildungsoptionen gewährt wird. Auch in der Landesverfassung aus dem Jahr 1953 heißt es bereits „Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.“ Die Bildungspolitik des Landes wird oft als Synonym für Schulpolitik verwendet. Letztlich umfasst das Spektrum der landespolitischen Bildungspolitik aber auch die frühkindliche Erziehung, die berufliche Bildung und das lebenslange Lernen. Viele Themen, die in den vergangenen Jahren bereits stark diskutiert wurden – beispielsweise Ganztagsschulen, Bildungsplanreform, Inklusion, aber auch die Integration von Flüchtlingen –, durchziehen alle Bereiche der Bildungspolitik Baden-Württembergs und bedürfen daher auch einer allumfassenden Strategie.

Bildungsgenossenschaften in Baden-Württemberg

Genossenschaften stellen dabei schon jetzt in der bestehenden Bildungslandschaft in Baden-Württemberg eine wertvolle Ergänzung dar. Zurzeit gibt es zwei genossenschaftlich geführte Privatschulen im Land. Das Peter-Härtling-Gymnasium, das 2007 gegründet wurde, setzt einen besonderen Schwerpunkt auf die individuelle Förderung von Schülern und das Mitspracherecht von Eltern, Schülern und Lehrerschaft bei der Gestaltung des Schulunterrichts. Die Waldorfschule in Offenburg wurde vor über 30 Jahren (1982) als Genossenschaft aus einem Zusammenschluss von Lehrern und Eltern gegründet. Gerade für eine alternative Schulform, die von vielen Bewohnern in der Region noch mit Misstrauen betrachtet wurde, war die Wahl der Genossenschaft als Rechtsform von besonderer Bedeutung. Sie versprach vor allem größtmögliche Transparenz nach außen und somit auch einen Abbau von Vorurteilen in der Bevölkerung, erinnert sich Wolfgang Meyer-Buerdorf, Vorstand und Lehrer an der Waldorfschule in Offenburg, der seit der Gründung mit dabei ist. Mittlerweile besuchen insgesamt etwa 650 Schüler aller Jahrgangsstufen die Waldorfschule in Offenburg – dies sei allerdings auch die Auslastungsgrenze der Schule, um eine Überschaubarkeit des Lehrbetriebs zu gewährleisten, so Meyer-Buerdorf.

Berufliche Bildung

In der beruflichen Bildung sind genossenschaftliche Konzepte in der überbetrieblichen Aus- und Weiterbildung, die zum Beispiel bei sehr spezialisierten Ausbildungswegen zum Tragen kommen können, modellhaft. Im BWGV ist hier die Ausbildungsgenossenschaft für Dienstleistungsgärtner Baden eG besonders hervorzuheben. In der Ausbildung von Friedhofsgärtnern greift sie einerseits Probleme des demographischen Wandels auf und bietet den Ausbildungsstätten und Meistern praktische Hilfeleistungen bei der Entscheidung, einen Auszubildenden einzustellen. Die Genossenschaft ist nun in ihrem dritten Jahr und hat es geschafft, die Zahl der Azubis in diesem Bereich von drei bis fünf pro Jahr auf zehn zu steigern. Dies gelang durch die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Kooperation von Praktikern und Berufsschullehrern.

Die Jugendagentur Heidelberg eG bewegt sich als Träger der Jugendberufshilfe zwischen diesen beiden Bereichen von Schule und beruflicher Bildung. Sie bietet Schülern zwischen 14 und 18 Jahren Unterstützung bei der beruflichen Orientierung und Vorbereitung an, die sie mit Schulsozialarbeit an ihren Partnerschulen begleitet. Der ursprüngliche Geschäftsführer, der damals noch als eingetragener Verein geführten Jugendagentur, ergriff nach der Reform des Genossenschaftsgesetzes die Gelegenheit, den Verband in eine Genossenschaft umzuwandeln. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Den Mitarbeitern sollten zum einen mehr Mitspracherechte ermöglicht und zum anderen die Handhabung eines steigenden Umsatzes erleichtert werden. Gleichzeitig sicherte das Kapital, das durch die Mitgliedsbeiträge gewonnen werden konnte, Liquidität in den Phasen, in denen Zusagen für Fördergelder auf sich warten ließen. Gerd Schaufelberger, Vorstand der Jugendagentur, befürwortet auch weiterhin die Wahl der Unternehmensform Genossenschaft. Vor allem auch, weil sie ihren Ursprung im Sozialen hat und es historisch darum ging, Menschen in Notlagen und in schwierigen Lebensstationen zu unterstützen, so der gelernte Betriebswirt.

Zukunft mitgestalten – als Genossenschaft

Die Potenziale für Bildungsgenossenschaften in Baden-Württemberg sind vielfältig und wachsen stetig mit gleichzeitig neuen Herausforderungen. Wie kann man mit der steigenden Leistungsvarianz von Schülern und mit den sich ändernden Erwartungen an das, was Bildung leisten kann, in Zukunft umgehen? Wie lässt sich der Einfluss digitaler Medien auf das Leben junger Menschen bewerten und welche Möglichkeiten gibt es, diese sinnvoll in den Unterrichtsplan einzubeziehen? Genossenschaften können durch unabhängige und visionäre Modelle bei der Bewältigung dieser Fragen eine bedeutende Rolle spielen.

Schülergenossenschaften als Modell für praktisches Lernen

Die eingetragene Schülergenossenschaften (eSG) gibt es in Baden-Württemberg seit 2012. Marion von Wartenberg, die Baden-Württembergische Kultusstaatssekretärin, ist Schirmherrin dieser Rechtsform. Landesweit existieren derzeit 13 Schülergenossenschaften. Die eSG verfügt über einen Vorstand, einen Aufsichtsrat und eine Generalversammlung. Die Schüler entwickeln eigenständig eine Satzung, eine Geschäftsidee, einen entsprechenden Businessplan und beantragen die Eintragung in ein Register, das vom BWGV geführt wird. Tätigkeitsfelder dieser besonderen Unternehmensform sind zum Beispiel eine Eventagentur, Einkaufsdienstleister oder Anbieter von EDV-Kursen. Die Schülerinnen und Schüler lernen während der Gründungs- und Geschäftsphase ihres Unternehmens die Rechtsform der eG im Detail kennen. Dabei werden sie von örtlich ansässigen Partnergenossenschaften betreut und durch alle Geschäftsprozesse begleitet. Den Genossenschaften ist es im Umkehrschluss möglich, sowohl künftige Mitglieder als auch Mitarbeiter bereits in einem frühen Stadium der Berufsfindungsphase kennenzulernen und entsprechend zu fördern.

Schulfach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“

Anfang Juli wurde die Jugendstudie Baden-Württemberg 2015 vorgestellt. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass bei der Berufsorientierung Handlungsbedarf besteht. Wenn sich die Jugendlichen Unterstützung bei der Berufsorientierung erhoffen, dann wünschen sich dies knapp 66 Prozent der Befragten vor allem von der Schule. Den größten Bedarf melden nach wie vor Gymnasiasten (67 Prozent). Die Landesregierung will nun ab dem Schuljahr 2016/2017 in Baden-Württemberg an allen allgemeinbildenden Schulen das Schulfach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ einführen. Es soll dazu dienen, die Qualifikation der Schüler in Hinblick auf Berufsorientierung, Studienwahl und ökonomische Grundbildung zu verbessern. Praktiker aus dem beruflichen Alltag – Geschäftsführer, Gewerkschafter, Auszubildende oder Abteilungsleiter – sollen zudem in den Klassen möglichst praxisnah referieren. Der BWGV unterstützte die „Initiative für ein Fach Wirtschaft in der Sekundarstufe I“, an der sich 19 Organisationen aus Wirtschaft, Schule, Wissenschaft und Kommunen beteiligten. Die Initiative bestärkte die Landesregierung in einem Schreiben darin, das Unterrichtsfach Wirtschaft einzuführen.

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